Sonntag, 1. Mai 2016

Der Prolet

Ganze 130 Jahre ist es her - so lange schon gehen die Arbeitnehmer(vertreter) in nahezu allen Teilen am 1. Mai auf die Straße, um die erkämpften Rechte zu feiert. Acht-Stunden-Tag, 40-Stunden-Woche Urlaubs- und Weihnachtsgeld und noch viel mehr darf beispielsweise der alpenrepublikanische Dienstnehmer als diese bezeichnen. Politisch durchgesetzt wurden diese von politischen Parteien und Gewerkschaften, die dem Typus Arbeitnehmer nahe standen. Helden der Arbeit, sozusagen, auch genannt Proleten, sind daher am Tag der Arbeit diejenigen, die sich emanzipiert haben und mit diesen Errungenschaften nun großteils ein Leben in Würde feiern dürfen. Was macht aber einen Proleten aus? 

Nicht viel, möchte man meinen. Gilt doch der Prolet oder der Prolo gemeinhin und umgangssprachlich als Angehöriger einer (industriellen) Unterschicht, der es sich im bildungsfernen Milieu gemütlich gemacht hat und mit Trash-TV, Ressentimenten-schüren und Schlagermusik gut bei Laune gehalten werden kann. Ausnahmen bestätigen jede Regel.


Es gibt aber auch eine ganz andere Auffassung des Proleten. Jene, die durch Karl Marx aufgekommen ist und den Proleten sozusagen als Mensch deutet, der sich durch Emanzipation und Bildung von seinem eigenen Joch befreit. "Proleten aller Herren Länder vereinigt euch", hallt der Schlachtruf dann immer, wenn es darum geht, diesen Typus zu feiern. Gefeiert wird dieser Prolet aber zumeist nur in der Hochkultur. Die Proletenpassion, eine sozusagen emanzipatorische Rock-Oper steht dafür Pate. Das Problem: Zu den Zuhörern gehört nicht unbedingt der gemeine Prolet der Realität. Da ist vielmehr der utopische Wunschgedanke, der dieses Proletenbild am Leben hält.

Und da kommen wir schon mal zum Dilemma: Für die politischen Parteien ist der Prolet oder der vielzitierte "Kleine Mann" schon längst nicht mehr das Subjekt, für dessen Wünsche und Ziele es sich einzusetzen lohnt. Das zeigt sich einerseits an der Krise der sozialdemokratischen Parteien, die europaweit an sich selbst kapitulierten. Sei die wirtschaftliche Frage und der Kampf um die Verteilungsgerechtigkeit oder die soziale Frage hinsichtlich der internationalen Solidarität, die in der Proletenhymmne "Die Internationale" am 1. Mai so gerne beschworen wird. Die wirtschaftliche Frage aufgegeben hat man bereits in den 1990er Jahren mit New Labour, dem Versuch, neoliberale Wirtschaftspolitik mit sozialen Standards verschmelzen zu lassen. Das Ergebnis nach 20 Jahren: Die wirtschaftlichen Global Player haben sich von der Politik aller Herrenländer emanzipiert und kochen ihr eigenes Süppchen. Dass darin Arbeitnehmerrechte, Mindestlohn und global faire Produktionsbedingungen keine Rolle spielen, ist in der Natur der Sache. Pate dafür steht die empirisch belegte langfristige Lohn- und Einkommensbilanz, die seit Jahrzehnten stagniert und je nach Leseweise sogar leicht zurück geht. Dass dann der Prolet unzufrieden ist, weil er als kleinstes Rädchen in der Mühle immer weniger abbekommt ist klar. Da muss ein Sündenbock her. Dass man dafür dann seine Ideologie Schritt für Schritt über Bord wirft, ist ein Prozess der - wie es den Anschein hat - erst dann aufzuhalten ist, wenn es sowieso schon zu spät ist. Was kommt dann als nächstes? Die Fusion mit dem bisherigen "Gottseibeiuns" in ein paar Jahren, um den Schritt in die Bedeutungslosigkeit abzuwehren und dem Bonzentum ein paar Pfründe zu sichern? Die Zeit wird es weisen.




Der Prolet als Manövriermasse: Dass die einstigen Verbündeten der Proleten zu einer Karikatur ihrer selbst wurden, haben viele "Kleine Männer und Frauen" für sich erkannt und sind - wie man so schön sagt, vom Schmidl zum Schmid gewechselt. Die Rechtspopulisten sind nicht erst seit Beginn der vielzitierten "Flüchtingskrise" zum Auffangbecken frustrierter Proleten geworden. Ob sie neben ihren wohlbekannten Ressentiments gegen Menschen aus anderen "Kulturukreisen" und ihrer fremdenfeindlichen - oder wie sie es sagen inländerfreundlichen  - Politik wirklich die soziale Heimatpartei sind, darf dahingestellt sein. Denn: Neben ihrem Einsatz gegen Fremdes (Sündenbock-Politik) geht oft unter, dass nationalkonservative Rechts-Parteien gerne dem Neobileralismus fröhnen. Und das karikiert wiederum die Interessen des Proleten, der hofft, mit seiner Wahl einen Fürsprecher gefunden zu haben. Wie lange dieser dann bei der Stange gehalten werden kann, wird ebenfalls die Zeit weisen.


Fazit: Der Prolet - auch der Schreiber dieser Zeilen  bezeichnet sich aufgrund seiner sozialen Herkunft, monetarischen Ausstattung und gesellschaftlicher Verortung als solcher - hat es in Zeiten des globalisierten Marktversagens und postdemokratischer Auswüchse nicht mehr leicht. Es wäre hoch an der Zeit, sich selbst zu emanzipieren.